Neue Rechte online
Wenn man sich einen Nazi vorstellt kommen einem bestimmt Bilder wie weißer Mann, mittleren Alters, vielleicht tatöwiert und vielleicht eine Bomberjacke in den Kopf. An dieses Bild denken bestimmt immer noch einige heutzutage, selbst wenn es nur noch vereinzelt zu trifft. Die Neue Rechte möchte heutzutage sehr viel förmlicher und “diverser” auftreten, siehe Identitäre Bewegung oder Junge Alternative. Die Sprache scheint intellektueller und auch die Führungspersönlichkeiten sehr viel charismatischer. Es werden Wörter wie Ethnopluralismus verwendet, um rassistisches Gedankengut zu maskieren. Im Kern sind es immer noch die gleichen Inhalte wie ‘33 aber hübscher verpackt, um im in der Zeitung maximal als junge Wilde und eben nicht als Nazis bezeichnet werden.
Wie entsteht rechter Hass im Internet?
Für die, die nicht aus bereits bestehender Überzeugung rechte Hetze im Netz aufsuchen, kann der Einstieg in die rechte Online-Szene heute auf sehr verschiedene Arten und Weisen geschehen. Die rechten Meinungsmacher:innen von heute finden sich an vielerlei Stellen, und haben alle eins gemeinsam: sie verstecken ihre Aussagen hinter einer Schicht an Worthülsen und Umschreibungen. Kaum eine:r, der Einstiegspunkten in die digitale Neue Rechte begegnet, wird sich direkt mit Worten wie „Rassenkrieg“ oder „Judenfrage“ konfrontiert sehen. Sie reden darüber, dass die neuen Star-Wars-Filme (ihrer Misinterpretation zufolge) das klassische Familienbild angreifen, oder beschweren sich in ihrem Livestream gegenüber darüber, dass Kritiker:innen von misogynen Stereotypen der Videospielindustrie ihnen „ihre Spiele wegnehmen wollen“ (und blenden dabei den Unterschied zwischen Kritik und Verbotsaufruf aus). Sie verbreiten (mithilfe verzerrter, verkürzter oder falscher Quellen) „Sorgen“ darüber, dass Personen mit Migrationshintergrund schlecht für die deutsche Wirtschaft seien, um nur einige wenige Beispiele zu nennen.
Die Akteur:innen in dieser Szene stellen sich oft als Offenbarer:innen unangenehmer Wahrheiten dar, die das „Establishment“ (oft auch als antisemitischer Code genutzt) nicht in der Öffentlichkeit sehen will, und stilisieren sich dabei zu Kämpfer:innen für die Meinungsfreiheit sowie gegen die Zensur durch die „Lügenpresse“ oder „linksgrünversiffte“ Tech-Konzerne. Nicht selten benutzen sie humoristische Elemente und Überspitzungen um sympathischer zu wirken und über den Mangel an Quellen und Belegen in ihren Videos, Blogbeiträgen oder Artikeln hinwegzutäuschen oder sich als Gegenpol zur „political correctness“ linker Kritiker:innen darzustellen. Diese neue Generation der rechten Meinungsmacher:innen versteht den Humor des Internets. Sie sind auf Facebook, Twitter etc. unterwegs und verbreiten dort Memes die unterschwellig ihre politische Ideologie unterstützen. Dabei sind sie vorsichtig, immer auf der Höhe des gesellschaftlichen Diskurses zu bleiben. Sobald z.B. der Begriff „Alt-Right“ gesellschaftlich verbrannt war, wechselten viele rechte Onlinegruppen (vor allem in den USA) zum Begriff „Identitär“. Oft versuchen sie mit ihren Botschaften junge (meist männliche) Personen abzuholen, die das Gefühl haben irgendwas liefe falsch in der Gesellschaft, ohne den Grund dafür entdeckt zu haben oder ideologisch und persönlich schon gefestigt zu sein. Besonders perfide handeln sie dabei durch das Verpacken antiprogressive, traditionalistisch-rassistischer Werte in Angeboten der „Selbsthilfe“, oder antifeministische, schockierend misogyne Ansichten als „Dating-Ratgeber“. Viele der Medienstrategien der Rechten Online hat die Amadeu-Antonio-Stiftung in ihrem Bericht „Alternative Wirklichkeiten“ gut und verständlich dargelegt.
Einmal an diesen äußeren Begegnungspunkten angekommen, gibt es mehrere Wege tiefer in die rechte Szene zu gelangen. Wie Kevin Roose in seinem New-York-Times-Artikel „The Making of a YouTube Radical“ darstellte, leisten die Algorithmen von Plattformen wie YouTube, Facebook oder Twitter keinen kleinen Beitrag zur Radikalisierung im Netz. Deren Ziel ist es durch das Anzeigen von Beiträgen die den bereits konsumierten ähnelten, Nutzende so lange wie möglich auf der Website zu behalten um ihnen mehr Werbungen zeigen zu können. Bei politisch motivierten Videos führt dies allerdings auch oft dazu, dass Nutzenden immer mehr Beiträge der gleichen politischen Richtung wahrzunehmen, die oft auch immer radikaler werden. So gelangt man beispielsweise von einem Beitrag, der sich kritisch über die Asylpolitik äußert, über einen Beitrag, der Ängste vor der „Übervölkerung“ durch höhere Geburtsraten von Geflüchteten schürt, letztendlich hin zu Beiträgen, die offen rechte Verschwörungstheorien wie die geplante Ausrottung der „weißen Rasse“ durch eine „jüdische Weltverschwörung“ für wahr erklären. Allerdings arbeitet auch die rechte Szene selbst stark daran, sich und ihr Publikum untereinander zu vernetzen, wie Christian Fuchs und Paul Middelhoff in ihrem Buch Das Netzwerk der Neuen Rechten (2019, Rowohlt) beschreiben. In Deutschland geschieht die Vernetzung vor allem über Portale wie Jouwatch (kurz für Journalistenwatch), wie der Chefredakteur, Jürgen Böhm, offen gegenüber Fuchs und Middelhoff zugibt. Auf der Seite erscheinen Beiträge verschiedenster rechter Vordenker:innen, Politiker:innen und Ideolog:innen wie Götz Kubitscheck, Jürgen Elsässer, Björn Bernd Höcke, Martin Sellner und H.C. Strache (ehemaliger Vizekanzler Österreichs) Seite an Seite mit Werbeanzeigen rechter Modelabels und Verlage, sowie der AfD. Darüber hinaus gibt es auf dem rechten Sender Lightbeat Radio, der auch Inhalte der rechtskonservativen Zeitung Junge Freiheit und dem neurechten Blog Philosophia Perennis verbreitet, eine tägliche Sendung von Jouwatch. Darüber hinaus führen Akteur:innen der rechten Szene auch gerne miteinander Debatten oder Interviews auf Videoplattformen und Social-Media-Diensten.
Die rechte Online-Szene teilt sich weiter auf in verschiedene Subkulturen, welche die Amadeu-Antonio-Stiftung in ihrem Bericht „Rechtsterroristische Online-Subkulturen“ umfassend beschreibt, und durch die oben genannten Medien z.T. untereinander vernetzt werden. Diese Subkulturen sind weitere Orte für Radikalisierung und bieten ein Gemeinschaftsgefühl, vor allem für die Menschen, die aus Ziellosigkeit heraus in der Szene gelandet sind. Weitere Gemeinschaften in der rechten Online-Szene sind Trollfabriken wie Martin Sellners „Infokrieg“ und „Reconquista Germanica“. Diese schaffen auch das Gefühl, gemeinsam für ein größeres Ziel zu kämpfen. Sie werden dafür genutzt, Kritiker:innen der Bewegung im Internet zu stören und einzuschüchtern, sowie die Algorithmen der Plattformen durch die Nutzung von koordinierten Massenpostings mit Fakeaccounts für die Verbreitung von Themen die der Szene und ihren Partnerorganisationen (wie der AfD) zu gute kommen zu manipulieren.
Die Journalistin Karolin Schwarz fasst das Ganze in einem Interview mit Netzpolitik sehr gut zusammen: “Es gibt Berührungspunkte und Verbindungen, die man auch teilweise nachweisen kann. Aber es gibt eben auch lose Gruppierungen oder lose organisierte Plattformen, auf denen dann eher jüngere Leute unterwegs sind. Die haben dann auch eine ganz andere Jugendkultur – wenn man es so nennen will. Teilweise machen die sich auch über alte Rechtsradikale lustig, das gehört da auch schon dazu. Dann gibt es aber auch wieder Berührungspunkte, wie die Demonstrationen in Chemnitz im letzten Jahr, wo man wieder zusammenkommt. Ideologisch gibt es immer wieder Überschneidungen. Grundsätzlich sind auch die „klassischen“ Rechtsextremen und Neonazis schon seit dem Ende der 1990er Jahre im Netz unterwegs. Inzwischen hat sich das Angebot massiv ausdifferenziert, sodass ganz verschiedene Milieus angesprochen werden.”
Die Parallelgesellschaft existiert bereits – in der rechten Online-Szene
Während Rechtsnationalist:innen innen in ganz Europa die Angst davor schüren, dass mehr Multikulturalismus zu der Bildung von „Parallelgesellschaften“ führen wird, existiert diese bereits im Herzen der Szene selbst. Nachdem immer mehr Plattformen auf das Problem mit rechter Hetze aufmerksam geworden sind und Nutzende welche diese verbreiten sperren, ist die rechte Online-Szene immer weiter auf alternative Portale ausgewichen. Neben den oben genannten rechtsalternativen Nachrichtenangeboten wie Jouwatch, Philosophia Perennis gibt es weitere wie PI-News (PI kurz für Politically Incorrect), die rechte Propaganda in pseudojournalistische Gewänder kleiden. Als Alternative zu den klassischen sozialen Medien nutzen immer mehr Rechte Ausländische Portale wie V-Kontakte (Russland), Gab.ai, Minds.com (beide USA) oder neu aufgebaute deutsche Angebote wie Meisterbook.com. Es gibt auch eigene Videohostingseiten, einen Wikipedia-Klon, und eigene Zahlungsdienstleister. Wie Michael Moorstedt (Süddeutsche Zeitung) in Das Netzwerk der Neuen Rechten zitiert wird: „die Neue Rechte ‚muss auf keinerlei Basisfunktionen des Internets mehr verzichten. Kommunikation, Information, Zahlungsabwicklung und Entertainment – alles wie zuvor und außerdem ideologisch konform‘“. Selbst eigene Videospiele wurden für den Teil der Szene entwickelt, welcher auf der Gamingplattform Steam aktiv ist. In Heimat Defender: Rebellion (inzwischen von Steam entfernt und indiziert), einem Jump n‘ Run muss man mit u.A. Martin Sellner oder Alex Malenki als Protagonisten durch eine Welt extrem homophober und rechter Narrative spielen. Nicht nur soll schon Kindern das hassen näher gebracht werden, sondern die Führungsfiguren der rechten Szene heroisiert werden.
Einmal in dieser Parallelwelt angekommen, stoßen die Neuen Rechten auf keinerlei Widerspruch zu ihrer Ideologie mehr, es wird frei gehetzt und es fällt niemandem auf die:der sich nicht genau mit den Strukturen beschäftigt. Der Hauptunterschied zwischen den alten Nazis und den neuen Rechten, ist vermutlich der Deckmantel ihres Safespaces, in dem sie fast unbemerkt agieren und sich radikalisieren können. Sie werden nicht mehr so direkt ins Visier genommen, wie Alt-Nazis die prügelnd und Parolen grölend durch die Straßen marschierten. Dieser Radikalisierungsprozess kann in letzter Konsequenz zu Gewalttäter.innen führen, die sich komplett unbemerkt von Polizei und Verfassungsschutz radikalisiert haben.
Wie groß ist das Netzwerk der Neuen Rechten, und warum scheitert der Verfassungsschutz an der Offenlegung dieses Netzwerkes?
Wie groß das Netzwerk der neuen Rechten ist lässt sich lokal dank antifaschistischer Recherchearbeit sehr gut erahnen, wir kennen die führenden Köpfe vor Ort, wir wissen welche Gebäude sie benutzen, wir kennen zum Teil sogar ihre Strukturen – hauptsächlich aber nur im analogen Raum. Wenn wir uns die neue Rechte digital anschauen wissen wir recht wenig, wir können zwar in den Telegram Channeln, auf Imageboards mitlesen und so weiter, allerdings nur so viel wir im Moment mitkriegen dürfen. Das Problem dürften sowohl Verfassungsschutz, als auch Antifaschist:innen haben: wenn man mehr lesen möchte als öffentlich zugänglich ist, muss man sich in die Strukturen einschleichen. Hier dürfte der Verfassungsschutz es jedoch schwer haben, denn auch wenn man zum Beispiel einen rechtsradikalen Discord-Server (Sprachchatprogramm) entdeckt, muss dieser nicht Teil eines Netzwerks sein, geschweige denn die Mitglieder:innen des Servers Verbindungen zur Neuen Rechten haben. Nur eines der Beispiele die zeigen, dass diese Aufdeckung schwierig und langwierig ist. Allerdings kann dass keine Ausrede für den Verfassungsschutz sein, denn als Nachrichtendienst verfügen sie über genug Geld und Kompetenzen um dieses Netzwerk weitgehend aufzudecken. Die Neue Rechte bewegt sich nicht erst seit ein paar Jahren im Netz.
Info Box
Falls ihr Personen kennt oder selbst Hilfe beim Ausstieg aus der rechten Szene braucht, meldet euch bei EXIT Deutschland. Dieses Projekt unterstützt Personen, die der rechtsextremen Szene den Rücken kehren wollen und helfen ihnen beim Ausstieg. Sie setzen unsere langjährigen Erfahrungen in der Auseinandersetzung mit dem militanten Extremismus sowie gesellschaftlichen, ideologisierten und schematisierenden Verhaltensmustern ein.
Außerdem führen sie persönliche Gespräche und besuchen Aussteigende auch, sofern möglich, in Gefängnissen.
Eine Kontaktaufnahme ist möglich über Telefon, E-Mail, SMS und Briefe.
EXIT-Deutschland
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Tel: +49 (0) 30 23489328
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